Bei uns wird alles anders: Meine persönliche Reise zur Erkenntnis, dass Kontrolle eine Illusion ist
Als werdende Eltern haben wir oft eine klare Vorstellung davon, wie unser Leben mit einem Kind aussehen wird. Diese Vision ist häufig geprägt von dem Gedanken: „Bei uns wird alles anders.“ Wir hören von den Herausforderungen anderer Eltern – von schlaflosen Nächten, schwierigen Stillzeiten und der endlosen Müdigkeit – und glauben dennoch fest daran, dass es bei uns nicht so sein wird. Warum? Weil wir überzeugt sind, dass wir es „richtig“ machen können. Wir planen, wie unser Kind schlafen soll, wie wir es von Anfang an erziehen werden, und wie wir unser Leben weiterhin in den Griff bekommen. Es ist fast so, als ob wir eine Art Geheimrezept hätten, das uns davor bewahren wird, die gleichen Schwierigkeiten zu erleben wie andere Eltern.
Diese Überzeugung, dass bei uns alles anders sein wird, gibt uns das Gefühl, die Kontrolle zu haben. Wir denken, dass wir die richtigen Methoden anwenden werden, um unser Kind zum Schlafen zu bringen, dass wir ihm von Anfang an beibringen können, sich selbst zu beruhigen, und dass wir unsere Partnerschaft und unsere persönlichen Freiheiten aufrechterhalten können, als wäre nichts geschehen. Es ist eine Art Selbstschutz, eine mentale Vorbereitung, die uns glauben lässt, dass wir über den Dingen stehen und dass das Leben mit einem Kind in gewisser Weise vorhersehbar und kontrollierbar sein wird.
Doch je näher der Tag der Geburt rückt, desto mehr beginnt sich diese Vorstellung in Zweifel zu verwandeln. Wir hören immer wieder die Geschichten von Freunden und Verwandten, die uns erzählen, wie anders alles wurde, als sie es sich vorgestellt hatten. Trotzdem halten wir an dem Gedanken fest: „Bei uns wird es anders sein.“ Es ist, als würden wir uns innerlich auf einen Marathon vorbereiten, bei dem wir fest entschlossen sind, nicht zu stolpern, wo andere es vielleicht getan haben.
Die Illusion der Kontrolle
Ich erinnere mich genau an diese Zeit. Mein Partner und ich hatten viele Gespräche darüber, wie wir das Leben mit unserem Baby gestalten würden. Wir waren überzeugt, dass wir uns gut vorbereitet hatten. Wir hatten Bücher gelesen, Kurse besucht und uns intensiv mit dem Thema Elternschaft auseinandergesetzt. Wir waren entschlossen, die Herausforderungen, vor denen andere standen, mit einem klaren Plan zu umgehen. Wir sagten uns immer wieder: „Bei uns wird es anders sein. Wir werden das schaffen.“
Doch was wir nicht wussten, war, dass wir uns selbst in einer Illusion wogen. Diese Vorstellung von Kontrolle und Planbarkeit war nichts anderes als ein mentaler Schutzmechanismus. Es ist verständlich, dass man sich in der unsicheren Phase der Schwangerschaft an etwas festhalten möchte, das einem Sicherheit gibt. Der Gedanke, dass bei uns alles anders sein wird, bot genau diese Art von Sicherheit. Er ließ uns glauben, dass wir das Leben mit einem Kind in den Griff bekommen würden, dass wir weiterhin die Kontrolle über unser Leben haben würden.
Aber die Realität sah anders aus. Sobald unser Baby geboren war, wurde uns schnell klar, dass all diese Pläne und Vorstellungen auf wackeligen Beinen standen. Unser Kind war einzigartig – es hatte seinen eigenen Willen, seine eigenen Bedürfnisse, und es kümmerte sich wenig um unsere Pläne. Die Nächte waren kurz, die Tage lang und anstrengend, und all die Vorstellungen von Kontrolle lösten sich schnell in Luft auf.
Warum wir an die Illusion glauben wollen
Warum klammern sich so viele werdende Eltern an die Vorstellung, dass bei ihnen alles anders sein wird? Einerseits ist es eine natürliche menschliche Reaktion. Niemand möchte glauben, dass die herausfordernden Geschichten, die man hört, auf das eigene Leben zutreffen könnten. Wir alle möchten denken, dass wir in der Lage sind, Probleme zu vermeiden, wenn wir nur alles „richtig“ machen.
Andererseits ist diese Überzeugung auch notwendig. Würden wir rational über die vielen Herausforderungen nachdenken, die mit der Elternschaft einhergehen, könnten wir uns fragen, warum wir uns überhaupt für ein Kind entscheiden sollten. Rational betrachtet gibt es in der heutigen Zeit wenige klare Vorteile, Kinder zu bekommen. Es erfordert Zeit, Geld, und emotionale Energie – Ressourcen, die in unserer modernen Welt oft knapp sind. Doch der Wunsch, Eltern zu werden, entspringt nicht dem Verstand, sondern dem Herzen. Es ist eine zutiefst emotionale Entscheidung, die weniger mit Logik als vielmehr mit tiefen, menschlichen Bedürfnissen nach Verbindung, Liebe und Kontinuität zu tun hat.
Die Realität nach der Geburt: Meine Lektion in Loslassen
Nach der Geburt unseres Kindes wurde mir schnell klar, dass ich all die Erwartungen, die ich an das Leben mit einem Baby hatte, über Bord werfen musste. Es dauerte nicht lange, bis ich verstand, dass Kontrolle etwas ist, was man in der Elternschaft am wenigsten hat. Die Vorstellung, dass ich das Leben mit meinem Kind nach meinen Vorstellungen gestalten könnte, löste sich rasch in Luft auf.
Ich hatte mir vorgenommen, meine Erwartungen niedrig zu halten, um nicht enttäuscht zu werden. Doch selbst mit dieser Vorsicht wurde mir schnell klar, dass Kinder das Leben auf eine Weise verändern, die man sich vorher nicht ausmalen kann. Sie stellen alles auf den Kopf – im wahrsten Sinne des Wortes. Die Nächte wurden kürzer, und die Tage drehten sich nur noch um die Bedürfnisse dieses kleinen Wesens, das nun das Zentrum unseres Universums war. Unabhängigkeit, die ich früher so sehr geschätzt hatte, wurde zu einer entfernten Erinnerung. Meine Privatsphäre? Sie war wie ein entfernter Cousin, den ich selten sah.
Doch trotz all dieser Herausforderungen begann ich zu erkennen, dass gerade das Loslassen von Kontrolle das Leben mit Kindern so wertvoll macht. Es sind die unerwarteten Momente, die kleinen Überraschungen und die ständige Veränderung, die das Leben als Eltern so einzigartig und erfüllend machen. Ich lernte, das Leben in seiner neuen Form zu schätzen – mit all den Höhen und Tiefen, die es mit sich brachte.
Freude in der Unvorhersehbarkeit
Rückblickend habe ich erkannt, dass die Vorstellung, bei uns würde alles anders sein, eine Illusion war – eine notwendige Illusion, aber dennoch eine Illusion. Elternschaft lehrt uns, dass das Leben nicht planbar ist und dass Kontrolle ein Konzept ist, das wir loslassen müssen. Es ist diese Erkenntnis, die uns befähigt, das Leben mit Kindern in vollen Zügen zu genießen. Denn erst, wenn wir unsere Erwartungen loslassen, können wir uns wirklich auf das Abenteuer einlassen, das Elternschaft mit sich bringt.
Ich habe gelernt, dass das Leben mit Kindern nicht planbar ist und dass das, was uns vorher wichtig erschien, oft nebensächlich wird. Die Kontrolle, die wir glaubten zu haben, ist eine Illusion – aber es ist eine, die uns dazu befähigt hat, Eltern zu werden. Und letztlich ist es genau diese Unvorhersehbarkeit, die das Leben mit Kindern so unglaublich bereichernd macht.