Back to Routine – Alltag neu denken
Unsere Mitgründerin Verena hat sich für euch mit dem Thema Alltag beschäftigt.
Neulich lag ich mal wieder länger wach im Bett, die Gedanken kreisten. Wir stecken gerade mitten in der Kita-Eingewöhnung, und eigentlich hatte ich mich so auf den neuen Alltag gefreut – auf Routinen, die uns Halt geben, und vielleicht auch ein kleines bisschen Freiraum für mich.
In meiner Vorstellung sollte das alles ganz leicht werden: morgens gemeinsam los, mittags oder nachmittags wieder zusammen, und dazwischen ein paar Stunden, in denen ich meinen eigenen Rhythmus finden kann. Stattdessen fühlt es sich gerade so an, als würde unser Alltag noch gar nicht richtig starten wollen. Die Eingewöhnung läuft nicht reibungslos, mein Sohn braucht viel Nähe, und manches, was ich mir ausgemalt hatte, muss noch warten.
Und gleichzeitig habe ich gemerkt: Natürlich haben wir schon einen Alltag. Das Leben pausiert ja nicht, bis die Routinen stehen. Unser Alltag ist das, was wir gerade leben – auch wenn er manchmal chaotisch, müde oder voller Umwege ist. Vielleicht besteht Alltag gar nicht so sehr aus den festen Abläufen, die wir im Kopf haben, sondern vielmehr aus den Dingen, die uns Tag für Tag begegnen.
Was ist Alltag eigentlich?
Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr merke ich, wie widersprüchlich unser Verhältnis zu diesem Wort ist. „Alltag“ klingt nach Schwere, nach Hamsterrad, nach funktionieren müssen. „Der Alltag hat uns wieder“ – das klingt selten nach etwas, auf das man sich freut. Gerade jetzt, nach den Sommerferien, spüre ich das besonders. Viele von uns sind aus der Leichtigkeit der Ferien zurück und stolpern in den Gedanken: Wie lange noch bis zum nächsten Urlaub? Wir haben den Vergleich noch direkt vor Augen: den Urlaub, mit diesen Tagen, die uns wie eine Parallelwelt vorkommen. Diese Leichtigkeit, dieses andere Tempo, das Gefühl, einfach zu sein – kein Wunder, dass sich der Alltag dagegen hart anfühlt.
Ich erinnere mich an einen Moment vor knapp zehn Jahren: Kaum zwei Wochen aus dem Urlaub zurück, hatte ich schon wieder Fernweh. Diese Sehnsucht nach Leichtigkeit und nach einem anderen Leben war so stark, dass ich damals beschlossen habe: Ich will nicht einfach warten, bis der nächste Urlaub kommt. Ich will verstehen, warum mir mein Alltag so schwerfällt – und ihn mit meinem Partner so gestalten, dass ich ihn gerne lebe.
Und das hat etwas verändert. Wir haben nach und nach Dinge angepasst: Wie wir arbeiten, wie wir freie Zeit gestalten, welche Routinen uns tragen. Heute fahren wir zwar noch weg – aber meistens, um Familie zu besuchen oder mit Freunden etwas Besonderes zu erleben. Einen Urlaub „nur, um mal rauszukommen“ hatten wir schon seit Jahren nicht mehr.
Alltag im Wandel
Vielleicht hat unser schwieriges Verhältnis zum Alltag auch damit zu tun, dass er heute nicht mehr so klar vorgegeben ist wie früher. Früher gab es festere Strukturen, mehr gesellschaftliche Rituale, klarere Rollen. Vieles war einengend – aber es war auch stabilisierend. Heute müssen wir unseren Alltag oft selbst erfinden, zwischen Job, Care-Arbeit, Partnerschaft, Freundschaften und Erwartungen von außen.
Alltag bedeutet für viele deshalb nicht nur Verlässlichkeit, sondern auch ständiges Jonglieren. Kein Wunder, dass wir uns manchmal nach einer Flucht sehnen.
Urlaub oder Alltag?
Urlaub steht für Freiheit: weniger Verpflichtungen, andere Umgebung, ein anderes Tempo. Und wenn ich so drüber nachdenke, ist das eigentlich logisch: Unser Gehirn springt auf Neues an. Forschende sprechen vom „Dopamin-Kick“ – das Gefühl, wenn alles ungewohnt ist und wir es mit wachen Augen wahrnehmen. Deshalb fühlt sich Urlaub so leicht an.
Aber genau deshalb hält er auch nicht lange! Wir gewöhnen uns schnell – sogar an das Schöne. Die Psychologie nennt das die „hedonische Tretmühle“: Wir laufen immer weiter, suchen neue Reize, aber unser Glückspendel kehrt wieder auf sein Ausgangsniveau zurück. Deshalb bringt uns die Flucht allein nicht dauerhaft weiter.
Die entscheidendere Frage ist also nicht: Wie oft können wir entkommen? Sondern: Wie können wir unseren Alltag so gestalten, dass er uns trägt?
Routinen und Rituale im Alltag
Genau hier liegt der Knackpunkt: Alltag muss nicht nur Last sein. Er kann auch Halt geben. Routinen spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie sind wie ein Gerüst, das uns entlastet: Sie nehmen uns viele kleine Entscheidungen ab und geben Struktur inmitten von Chaos. Gerade Kinder profitieren davon, weil Wiederholungen Sicherheit schaffen.
Und manchmal gehen Routinen noch einen Schritt weiter. Wenn wir sie bewusst mit Bedeutung aufladen, wenn wir sie emotional färben – dann werden sie zu Ritualen. Rituale sind mehr als ein Ablauf. Sie schaffen Verbindung, Geborgenheit, ein Gefühl von Sinn.
Ein Beispiel aus unserem Alltag: Wir haben kleine Affirmationskarten, die morgens eine feste Rolle spielen sollen. Mein Sohn und ich ziehen zusammen eine Karte, stecken sie in unseren Briefkasten – und wenn wir am Nachmittag nach Hause kommen, holen wir sie wieder heraus. Eine einfache Handlung, die durch unsere gemeinsame Aufmerksamkeit und Wiederholung zu etwas Besonderem wird. Im Moment hakt es noch ein wenig, weil mein Sohn auf dem Heimweg oft einschläft 😉. Aber allein die Idee, dass wir uns so ein Ritual geschaffen haben, trägt uns schon.
Ein neuer Blick auf den Alltag
Vielleicht ist Alltag also gar nicht das, wovor wir fliehen müssen. Vielleicht ist er das Netz, das uns trägt. Ein Netz, das manchmal eng und manchmal weit geknüpft ist. Manchmal Last, manchmal Sehnsuchtsort. Aber immer der Stoff, aus dem unser Leben gemacht ist.
Und vielleicht steckt gerade in dieser Ambivalenz seine eigentliche Kraft: Alltag fordert uns heraus – und gibt uns gleichzeitig Halt.
Für mich ist der Alltag gerade weniger Last als Sehnsuchtsort. Natürlich hakt es, wenn die Eingewöhnung nicht klappt oder Routinen durcheinandergeraten. Aber gleichzeitig spüre ich: Alltag ist das, was mir Halt gibt. Und ich frage mich: Warum haben wir uns gesellschaftlich so sehr daran gewöhnt, ihn als etwas Negatives zu sehen?
Vielleicht wäre es an der Zeit, ihn neu zu denken. Nicht als Hamsterrad, sondern als Zuhause. Nicht als etwas, dem wir ständig entfliehen müssen, sondern als etwas, das wir gestalten dürfen.
Und vielleicht steckt genau darin die eigentliche Frage:
Wie können wir unseren Alltag so gestalten, dass wir ihn gerne leben – und nicht nur darauf warten, ihm zu entkommen?